Kirche und Militär – die Zusammenarbeit beenden:
34 Thesen
Erschienen: 7.6.2024, Quelle: Ökumenisches Institut für Friedenstheologie (OekIF)
Diese Thesen wurden von Christ:innen verfasst, die im Internationalen Versöhnungsbund (VB, IFOR), in der Deutschen Friedensgesellschaft – Vereinigte Kriegsdienstgegner:innen (DFG-VK) oder/und im Ökumenischen Institut für Friedenstheologie (OekIF) aktiv sind.
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Jesus von Nazareth lehnte Waffengewalt ab. Er sprach die Friedensstifter selig. Er lehrte, wie man aufrecht bleiben kann, auch wenn man angegriffen wird. Gegen seine Verhaftung wehrte er sich nicht.1
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Als Christ:innen sind wir berufen, mitten in dieser Welt, die voll Gewalt ist, Zeug:innen seines Friedens zu sein. Wir dürfen im Geist seines Friedens leben.
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Jesus hat gesagt: Das Reich Gottes ist nahe herbeigekommen; es hat unter uns bereits begonnen. Zum Reich Gottes gehört die Gewaltlosigkeit.
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Die Christ:innen der ersten zwei bis drei Jahrhunderte, einschließlich der Bischöfe und „Kirchenväter“, lehnten militärische Gewalt ab.
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Die „Nachfolge Christi“ ist ein Leben in seinem Geist und nach seinem Vorbild. Diese Lehre wurde seit der Konstantinischen Wende (312 n.Chr.) verdrängt. Die Lehre von der „Nachfolge Christi“ überlebte über Jahrhunderte nur am Rand der Kirche. Nachfolge Christi ist nicht Werkgerechtigkeit.
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Die großen Kirchen fahren auch heute noch zweigleisig: Frieden schaffen ohne Waffen – aber notfalls auch mit Waffen. Wir fordern: Die Kirchen sollen nicht länger zweigleisig fahren. Die Kirchen sollen ganz auf gewaltlose Mittel setzen!
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Nicht nur der Glaube, sondern auch die Statistik2 zeigt: Aktiv gewaltfreie Methoden sind in der Regel nachhaltiger, effektiver und kosten weniger Menschenleben als militärische Methoden.
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Mit der Bergpredigt lässt sich Politik machen, sogar gute Politik. Beispiele: die Rosenkranzrevolution auf den Philippinen 1986, die friedliche Revolution in der DDR 1989 und die Revolution der „Frauen in Weiß“ in Liberia 2003.
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Der Aufruf zur Gewaltlosigkeit gilt nicht nur für eine ferne Zukunft, sondern für heute. Nicht nur für das Privatleben, sondern auch für die internationale Politik. Er richtet sich an alle Menschen, nicht nur an wenige Auserwählte.
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Paulus schreibt: "Lass dich nicht vom Bösen überwinden, sondern überwinde das Böse mit Gutem."3 Dies gilt auch für politische Konflikte.
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Soldat:innen und deren Angehörige sind in unseren Gemeinden willkommen. Jesus hat sich allen Menschen zugewendet, auch den Soldaten. Es ist eine Sache, sich einem Menschen zuzuwenden; und eine andere Sache, seine Gewalttaten zu unterstützen oder zu rechtfertigen.
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In der Bundeswehr arbeiten etwa 100 evangelische und 100 katholische Militärgeistliche4. Die meisten sind Militärbeamte auf Zeit, manche auch auf Lebenszeit. Militärgeistliche werden von der Bundeswehr bezahlt. Sie haben ihre Büros in Kasernen, nutzen Fahrzeuge der Bundeswehr und tragen im Auslandseinsatz (sowie im Manöver und auf Kriegsschiffen) militärische Kleidung. Diese starke Einbindung in das „Lebensfeld Bundeswehr“ färbt auf das Denken und Handeln der Militärgeistlichen ab.
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Militärgeistliche begleiten Soldaten in Einsatzländer. Sie unterhalten und „erbauen“ die Soldaten. Sie vermitteln in Konflikten. Sie signalisieren: „Gott ist mit euch. Gott vergibt euch. Ihr seid für eine gute Sache unterwegs.“ Am Grab „gefallener“ Soldaten finden sie tröstliche Worte.
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Auf diese Weise ist die Militärseelsorge ein funktionierendes Rad der „Militär-Maschine“. Sie gehört zur „inneren Führung“ der Bundeswehr. Nur selten haben Militärpfarrer „ihre“ Soldaten dazu aufgefordert, die Waffen niederzulegen und nach Hause zu gehen.5
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Die etwa 200 Militärgeistlichen unterstehen den Militärdekanen und Militärbischöfen. Die leitenden Behörden sind das KMBA und das EKA, beide in Berlin. Die Militärseelsorge untersteht organisatorisch dem Bundesministerium für Verteidigung.
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Katholische Militärgeistliche segnen immer wieder auch militärische Fahrzeuge und Immobilien. Evangelische Militärgeistliche beten ab und zu auch für militärische Einrichtungen.6 Diese unselige Praxis ist endlich zu beenden!
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Auch in der DDR gab es Soldatenseelsorge. Soldaten kamen in ihrer Freizeit in die Pfarrhäuser und Gemeindekirchen. Diese Praxis hatte sich bewährt. Dennoch wurde das „Westmodell“ übernommen. Daher heute der Reformstau.
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Die Auslandspfarrer:innen unserer Kirchen, die sich um Deutsche in anderen Ländern kümmern, könnten auch Ansprechpartner für in ihrer Region stationierte Soldat:innen sein.
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Die Bundeswehr finanziert und organisiert seit 2020 auch eine jüdische – und bald wahrscheinlich auch eine muslimische Militärseelsorge. Wir meinen: Keine Religionsgemeinschaft sollte Waffengewalt rechtfertigen, unterstützen oder begleiten.
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In evangelischen und katholischen Kirchen finden pro Jahr etwa 100 Militärkonzerte statt, davon die Hälfte Militär-Adventskonzerte. Bei diesen Konzerten werden christliche und populäre Stücke gespielt. Die besondere Atmosphäre der Kirche und die Schönheit der Musik überträgt sich auf die Bundeswehr. Die betreffenden Kirchengemeinden lassen sich für die Image-Werbung der Bundeswehr instrumentalisieren. Was würde Jesus Christus zu Militär-Werbung in seinem Hause sagen?
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Auch auf Kirchentagen, Katholikentagen und Ökumenischen Kirchentagen betreibt die Bundeswehr Sympathiewerbung, Kontaktpflege und Lobbyarbeit. Bundeswehrvertreter dürfen ihre Argumente im Rahmen von Podiumsdiskussionen ausführlich darlegen. Militärgeistliche setzen sich argumentativ für die Bundeswehr ein. Auf jedem Kirchen- und Katholikentag wird ein Militärgottesdienst gefeiert. Militärbischöfe und Militärgeistliche leiten diese Gottesdienste. Bundeswehrvertreter nehmen teil. Ein Bundeswehr-Musikkorps spielt. Die Militärpolizei sichert den Gottesdienst gegen „Störer“.
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So wie Jesus Christus die Händler aus dem Tempel vertrieben hat – energisch aber ohne Waffengewalt7 – so sollten auch wir das Militär aus den Kirchen vertreiben. Soldaten als Privatpersonen sind willkommen. Soldaten in dienstlichem Auftrag sind nicht willkommen.
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Die großen Kirchen sollten ihren Mitgliedern empfehlen, nicht beim Militär und nicht in Rüstungsfirmen zu arbeiten. Bisher gibt es von Seiten der Kirchenleitungen keine solche Empfehlung.
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Kirchengemeinden, in deren Region sich Rüstungsfirmen befinden, verschließen oft die Augen davor. Diese Kirchengemeinden sollten ermuntert werden, hinzuschauen, Informationen zu sammeln und offen darüber zu sprechen.
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Immer wieder werden auch kirchliche Projekte durch Rüstungsfirmen gesponsert, z.B. die Gemeindehausrenovierung. Als „Gegenleistung“ übt man Zurückhaltung in der Kritik an diesen Firmen.
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Nicht wenige kirchliche Tagungshäuser und Akademien arbeiten mit der Bundeswehr zusammen, bieten Kurse für Soldat:innen an, laden Referent:innen der Bundeswehr ein und richten Tagungen für die Militärseelsorge aus.8
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Auf Panzer, Kriegsschiffe und Militärflugzeuge lässt die Bundeswehr das Kreuzeszeichen anbringen. Die Kirchen sollten gegen diesen Missbrauch des christlichen Zeichens Einspruch erheben.
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Kirchenleitungen haben Angst, Kirchenmitglieder zu verlieren, die beim Militär und in der Rüstung arbeiten. Aber diese Angst sollte nicht das Handeln der Kirchenleitungen bestimmen.
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Die Kirchen sollten bewaffnete Bundeswehr-Auslandseinsätze klar und eindeutig ablehnen.
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Die Kirchen sollten – ohne Hintertüren9 – für die sofortige Abschaffung aller Atomwaffen eintreten.
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Die meisten Konflikte zwischen Staaten bzw. Volksgruppen werden – Gott sei Dank – ohne Waffengewalt beigelegt. Es gibt internationale Organisationen, die zu diesem Zweck gegründet wurden. Es gibt zahlreiche Projekte der Konfliktprävention und Völkerverständigung. Es gibt Organisationen, die wissen, wie man internationale Konflikte gewaltfrei lösen bzw. bearbeiten kann: Peace Brigades International (pbi), Nonviolent Peaceforce (NP), Christian Peacemaker Teams (cpt), Ziviler Friedensdienst (ZFD), Werkstatt für Gewaltfreie Aktion (WfGA), Kurve Wustrow und andere. Diese Organisationen sind leider meistens unterfinanziert. Die Studie „Sicherheit neu denken“10 zeigt, wie Deutschland von der militärischen „Sicherheit“ auf zivile Sicherheit umsteigen könnte.
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Dem Vertrauen auf militärische „Lösungen“ sollten die Kirchen das Vertrauen auf den Gott des Friedens entgegensetzen. Dem „Bekenntnis zu Bundeswehr und Nato“ sollten die Kirchen das Bekenntnis zu Jesus Christus entgegensetzen. Er hat Waffengewalt abgelehnt.
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Re-formieren heißt zurück-formen, zurück zur Quelle, zu den Wurzeln; sich neu an Jesus Christus orientieren. Ecclesia semper reformanda! Die Kirche muss immer reformiert werden – auch heute.
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Martin Luther reformierte viele Bereiche der Kirche und des Lebens. Dabei klammerte er aber das Thema „Militär“ weitgehend aus. An der Zusammenarbeit der Kirche mit dem Militär hat sich durch die Reformation wenig geändert.
Wittenberg, den 14.8.2014, hier in der Fassung von 2024
Weitere Informationen:
- wehrhaftohnewaffen.de
- soziale-verteidigung.de
- Interview mit Ulrich Stadtman vom Bund für Soziale Verteidigung
- oekum-institut-friedenstheologie.de
- versoehnungsbund.de
- ziviler-friedensdienst.org
- militaerseelsorge-abschaffen.de
- musiker-gegen-militaermusik.de
- dfg-vk.de
- wfga.de
- sicherheitneudenken.de
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Siehe Mt 5,1-12; Mt 5,39 und Mt 26,52. ↩
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Erica Chenoweth u.a., Why Civil Resistance Works, New York. ↩
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Paulus an die Gemeinde in Rom, Kapitel 12, Vers 21. ↩
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Manche Stellen sind vakant. Auf katholischer Seite werden Stellen auch mit Pastoralreferenten und Diakonen besetzt. Auf evangelischer Seite gibt es auch Militärpfarrerinnen. ↩
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Bekannt geworden sind seit 1957 nur ein bis zwei Fälle. ↩
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Beispielsweise betete der evangelische Militärpfarrer Andreas Kölling am 26.10.2017 für die Militär-Übungsstadt Schnöggersburg. ↩
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Markus 11,15ff par. ↩
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Zum Beispiel wurde das Jubiläum „60 Jahre Militärseelsorge“. ↩
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Die EKD hält weiterhin an der 8. Heidelberger These fest: „Die Kirche muss die Beteiligung an dem Versuch, durch das Dasein von Atomwaffen einen Frieden in Freiheit zu sichern, als eine heute noch mögliche christliche Handlungsweise anerkennen.“ Bei diesem Thema bremst besonders die FEST, Heidelberg, und dort besonders Dr. Ines-Jacqueline Werkner. ↩
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Sicherheit neu denken – Von der militärischen zur zivilen Sicherheitspolitik - Ein Szenario bis zum Jahr 2040 (pdf 2,5 MB) ↩