Den Niedergang begleiten
Unser Auftrag ist nicht Wiederaufbau, sondern solidarische Begleitung. Es gilt, Jesu Werte zu bewahren, den Schwachen beizustehen und Ressourcen zu teilen. Der ökologische Kollaps ist unumkehrbar – wir müssen die Folgen tragen und diesen Weg in Würde gehen.
Erschienen: 26.02.2025
Es ist ziemlich klar, was auf mittlere Sicht die Zukunft der Menschheit sein wird. Der Club of Rome hat das schon vor 50 Jahren beschrieben: Es wird abwärts gehen. Energie und natürliche Ressourcen werden immer knapper werden und in der Folge wird die Weltbevölkerung drastisch sinken. Dieser Weg wird von heftigen Verteilungskämpfen und Kriegen begleitet werden.
Dieser Abstieg ist unabwendbar. Er ist schlicht die Folge davon, dass wir über Jahrhunderte weit über unsere Verhältnisse gelebt haben. Aus christlicher Perspektive könnte man das als "Gericht Gottes" betrachten – nicht als Strafe, sondern als Folge unseres Tuns.
Das Reich Gottes, die Utopie eines Lebens in Solidarität in echter Nachhaltigkeit, kann erst dann Gestalt gewinnen, wenn wir unser altes falsches Leben und Wirtschaften – unseren "Götzendienst" – aufgegeben haben. Dieser Weg durchs "dunkle Tal" lässt sich nicht abkürzen. "Kehrt um!" bedeutet, die Richtung zu ändern und sich auf einen Weg zu machen. Es bedeutet nicht, schlagartig am Ziel zu sein.
Deshalb besteht unser Auftrag zunächst auch nicht darin, aufzubauen, sondern den Niedergang zu begleiten. Das Gebot der Stunde ist nicht, ein uns auf den Aufbau eines neuen Gemeinwesens in Gerechtigkeit und Frieden zu konzentrieren. Wir sind in erster Linie dazu berufen, auf dem bevorstehenden Weg durch dieses "Gericht Gottes", die Werte Jesu zu bewahren und zu leben, uns mit den Opfern zu solidarisieren, Verwundete zu verarzten und beizustehen, die knappen Güter zu teilen und gemeinsam diesen Weg in Würde zu gehen. Es macht keinen Sinn, gegen den Niedergang aufzubegehren oder unseren alten falschen Lebensstil "einfach" transformieren zu wollen. Die Umweltgifte, das CO2 in der Luft, der dramatische Verlust an Biodiversität und fruchtbaren Böden, usw. gehen nicht so einfach wieder weg. Die Erde hat nur deshalb so viele Menschen und einem (durchschnittlich) so hohen Lebensstandard getragen, weil wir die Substanz aufgezehrt haben. Langsam stoßen wir an die Grenze und unser Planet präsentiert uns die Rechnung. Wir werden die Folgen tragen müssen.
Wir müssen dieser Tatsache ins Auge blicken und uns tapfer auf den Weg machen. "Umkehr" in materieller Hinsicht bedeutet in diesem Sinne buchstäblich eine Rückkehr in die pre-fossile Zeit. Viele Menschen werden eine deutlich geringere Lebenserwartung haben, als wir das gewohnt waren. Die Versorgung mit Nahrungsmitteln, Wasser und die medizinische Versorgung werden prekär werden. Die Ungerechtigkeit, die insbesondere benachteiligte Menschen schon immer erfahren haben, wird dramatisch zu nehmen. Sich für das Reich Gottes einzusetzen, bedeutet, auch hier Gerechtigkeit einzufordern, Versöhnung und Frieden zu stiften, die Stimme der Opfer zu Gehör zu bringen, sich den "Mächten und Gewalten" entgegen zu stellen, ...
Aber wir dürfen nicht verdrängen, dass "Umkehr" in unserer Lage zunächst einmal bedeutet, sich auf einen anspruchsvollen, Opfer fordernden Weg der "Buße" zu begeben. Solidarität, gegenseitige Fürsorge, Feindesliebe und Demut – das alles können und müssen wir auf diesem Weg lernen und praktizieren. Das ist eine Wüstenzeit, eine Bewährungsprobe. Hier entsteht eine Keimzelle für das "Reich Gottes", das nur aus der Asche des alten Systems heraus wachsen kann. Es wäre eine fatale Illusion, diesen notwendigen Weg überspringen zu können. Vielleicht ist dies die allerletzte Chance für die Menschheit.
Dieser Perspektivwechsel, diese Fokusverschiebung ist entscheidend. Wenn wir uns zum jetzigen Zeitpunkt darauf konzentrieren, "aufzubauen", geraten wir aufs falsche Gleis. Das würde bedeuten, zu verdrängen und letztlich in einem Verteilungskampf auf der Seite der Gewinner stehen zu wollen. Da das "Gericht" nicht aufgehalten werden kann, bedeutet Verdrängung vor allem, die Opfer auszublenden. Und wir würden unsere Energie in einen Kampf gegen Windmühlenflügel investieren, statt den Kampf gegen die Mächte und Gewalten zu führen, die die Menschheit an diesen Abgrund geführt hat. Unser Gottesdienst wäre letztlich Götzendienst.
Man könnte diese Haltung mit Fatalismus verwechseln. Es ist in unserer auf Fortschritt gepolten Welt sehr ungewöhnlich, dafür zu werben, sich auf einen Abstieg als Zukunftsperspektive einzulassen. Aber nur so können wir unser Menschsein bewahren. "In guten, wie in schlechten Zeiten". Wenn alles gut läuft, ist es nicht schwer, sich für einen guten Mensch zu halten. Echte Solidarität und Nächstenliebe zeigt sich in den stürmischen Zeiten des Lebens. Und die Zeiten stehen wahrhaft auf Sturm.
Denn ich war hungrig und ihr habt mir zu essen gegeben; ich war durstig und ihr habt mir zu trinken gegeben; ich war fremd und ihr habt mich bei euch aufgenommen; ich war nackt und ihr habt mir etwas anzuziehen gegeben; ich war krank und ihr habt mich versorgt; ich war im Gefängnis und ihr habt mich besucht. (Mt 25, 35f)