Commensales

Notizen zu Walter Wink

Erschienen: 27.5.2024 (zuletzt bearbeitet: 17.06.2024)

Inhalt

»Verwandlung der Mächte« von Walter Wink

Wesentliche Zitate und Gedanken von Walter Wink zusammen gestellt von Erhard Maria Klein. Eigene Anmerkungen sind mit "(emk)" gekennzeichnet.

Verwandlung der Mächte – Eine Theologie der Gewaltfreiheit
Wink, Walter
ISBN/EAN: 9783791725918
176 Seiten, kartoniertes Buch, 3. aktualisierte Auflage
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Die Mächte indentifizieren

Für Wink ist nicht das Christentum, sondern der Glaube an eine erlösende Macht der Gewalt die wirkmächtigste Religion. Wink versteht Jesu Leben und Botschaft als die rettende Antwort auf dieses Herrschaftssystem. Weil Jesus in umfassender und radikaler Weise eine Gegenposition zum Herrschaftssystem mit seiner inhärenten Gewaltfreiheit bezieht, werden auch die Handlungsbeispiele der Bergpredigt neu verständlich. Es ist ein zentraler Gedanke Walter Winks, dass gewaltverfallene Mächte nie durch Gewalt bekämpft werden können, weil Gewalt den fatalen Makel hat, dass sie bestärkt, was sie bekämpft, und den Kämpfenden zu dem werden lässt, was er überwinden will. Das einzige Mittel, mit dem der Widerstand geführt und die Verwandlung erreicht werden kann, ist aktive Gewaltfreiheit.

Alles besitzt sowohl einen materiellen, wie auch einen spirituellen Aspekt. Die Mächte der Welt sind also nicht nur Menschen und ihre Institutionen. Sie schließen auch die Spiritualität im Zentrum dieser Institutionen und Strukturen mit ein. Wenn wir die Systeme ändern wollen, müssen wir also nicht nur die äußere Form ins Auge fassen, sondern auch den inneren Geist. Wir stehen auf der Schwelle der Wiederentdeckung der Seele im Innersten eines jeglichen Geschöpfs. Es gibt nichts, von der DNA bis hin zu den Vereinten Nationen, das nicht Gott in seinem Innersten hat. Alles hat einen spirituellen Aspekt. Alles ist Gott gegenüber verantwortlich. Der "Engel" einer Institution ist der Träger der göttlichen Berufung. Konzerne und Regierungen sind "Geschöpfe", deren einziger Zweck ihr Dienst am Gemeinwohl ist. Wenn sie sich dem verweigern, erkrankt ihre Spiritualität. Sie werden "dämonisch". Und wenn das Dämonische dann entsteht, wenn ein "Engel" von seiner Berufung abweicht, dann hängt soziale Veränderung nicht von der Austreibung des Dämons ab, sondern davon, dass der Engel zu seiner göttlichen Aufgabe zurückgerufen wird.

Ungerechte Systeme verstetigen sich durch institutionalisierte Gewalt.

Mir wurde immer wieder deutlich, dass Menschen, die mit Gewalt die Herrschaft bekämpfen, genauso böse werden, wie diejenigen, gegen die sie sich stellen.

Ich habe genug gesehen von Gottes listigem Umgang mit den Mächten, um voll auf die Hoffnung zu setzen. Ich glaube, dass auch diese widerständigen Mächte im Schmelztiegel der Liebe Gottes verwandelt werden können.

Die Welt ist, zumindest bis zu einem gewissen Grad, so, wie wir sie uns vorstellen. Wenn wir glauben, dass sie gott- und seelenlos ist, wird sie für uns auch so sein. Das Verstehen der Weltbilder ist der Schlüssel, der uns von einer Kontrolle der Mächte über die Vorstellungen der Menschen befreien kann.

Das integrative Weltbild: Diese neue Weltanschauung entsteht aus einer Reihe von Denkströmungen: der neuen Physik, der Befreiungstheologie, der feministischen Theologie, den Überlegungen des Psychologen Carl Jung und des Paläontologen Teilhard de Chardin, Prozessphilosophen wie Alfred North Whitehead, Charles Hartshorne, John Cobb und David Ray Griffin, Theologen wie Morton Kelsey, Thomas Berry, Matthew Fox, die Buddhisten Thich Nhat Hanh und Joanna Macy und aus verschiedenen Religionen der amerikanischen Ureinwohner. Diese integrative Sicht der Realität geht von einem äußeren und einem inneren Aspekt allen Seins aus.
Nach diesem Weltbild ist das Weltall beseelt. Gott ist nicht nur in mir, sondern in allem. Das Universum ist vom Göttlichen durchflutet. Dies ist kein Pantheismus, der besagt, dass alles Gott ist, sondern Panentheismus (pan, alles; en, in; theos, Gott), nach dem alles in Gott und Gott in allem ist. Der Geist ist das Zentrum aller Dinge und alle Geschöpfe können Gott offenbaren. Diese integrative Weltbild ist nicht wesentlich "religiöser" als das antike, aber ich glaube, dass sie die biblischen Gegebenheiten für heutige Menschen eher verständlich macht als jedes andere vorliegend Weltbild, die Weltbild der Antike eingeschlossen.

Um den Projektionsprozess zu beenden, müssen wir die Projektionen zunächst zurücknehmen und erkennen, dass die reale spirituelle Macht, die wir erleben, von Institutionen ausgeht. Das NT besteht darauf, dass Dämonen nur dann auf uns wirken können, wenn sie sich in Menschen oder politischen Systemen verkörpern. Wir können uns z.B. "Dämonen" als die tatsächliche spirituelle Realität von Systemen und Strukturen vorstellen, die ihre göttliche Berufung verraten haben. Wenn ein gesamtes Geflecht von Mächten auf götzendienerischen Werten gegründet ist, erhalten wir das, was man als das Herrschaftssystem bezeichnen kann.

Eine Ideologie ist zwar unsichtbar doch schwebt sie nicht einfach in der Luft. Sie ist immer auch die Rechtfertigung einer bestimmten Gruppe (z.B. Firmen, NGOs, Verbänden, Parteien, Kirchen, Klimaaktivisten, ...). Als Seelen der Systeme umgeben uns überall Mächte in ihrem spirituellen Aspekt. Wenn eine einzelne Macht zum Götzendiener wird, d.h., wenn sie einer anderen Berufung folgt, als der, für die Gott sie erschaffen hat, und ihre eigenen Interessen zum höchsten Gut erklärt, wird diese Macht dämonisch. Die spirituelle Aufgabe besteht darin, den Götzendienst zu demaskieren und die Mächte zu dem Ziel zurückzuführen, zu dem sie in der Welt erschaffen wurden. Das kann nicht durch eine Einzelperson geschehen, sondern nur durcheine Gruppe. Das war eigentlich die Aufgabe der Kirche.

Der "Engel" einer Körperschaft meint nicht nur alles woraus sie aktuell besteht, sondern trägt auch die Botschaft dessen in sich, was sie sein soll. Es ist Mode geworden, "Mission-Statements" zu verfassen. Ein Auftrag impliziert allerdings einen Beauftragenden, so wie eine Berufung einen Rufer. Nach biblischem Verständnis existiert keine Institution als Selbstzweck, sondern jeweils nur zum Dienst am Gemeinwohl.

Es gehört zur Aufgabe der Kirche, Konzerne und Unternehmen daran zu erinnern, dass Profit nicht das Endziel ist, sondern dass sie als Geschöpfe Gottes die gottgegebene Berufung haben, menschliches Wohlergehen anzustreben. Sie existieren nicht um ihrer selbst willen; sie wurden um einen hohen Preis erkauft und gehören Gott, der ein Auskommen für alle Menschen bestimmt hat.

Das Böse ist nicht nur personal, sondern strukturell und spirituell. Es ist nicht nur das Ergebnis menschlichen Handelns, sondern die Konsequenz gewaltiger Systeme, über die kein Individuum die volle Kontrolle besitzt. Nur, indem man die Spiritulität einer Institution und seine materielle Manifestation miteinander konfrontiert, kann die ganze Struktur verwandelt werden. Jeder Versuch, ein gesellschaftliches System zu ändern, ohne sich sowohl seinem Geist als auch seiner äußerlichen Form zuzuwenden, ist zum Scheitern verurteilt. Der Materialismus weiß nichts von der inneren Dimension und ist daher auch blind gegenüber ihren Auswirkungen.

Die Mächte sind "gut, gefallen und müssen erlöst werden". Sie sind gut geschaffen, sie sind "abgefallen" und können transformiert werden und zu ihrer guten Bestimmung zurückgeführt werden.

Die Mächte sind unlösbar in Gottes System eingebunden, dessen menschliches Gesicht in Jesus offenbart wurde. Sie sind Gott gegenüber verantwortlich. Wir können unseren Wasservorrat und die Luft, die wir atmen, verschmutzen, ohne uns um die Zukunft zu sorgen. Wir sind aber systemisch nicht vom ganzen Ökosystem zu trennen; es gibt einen Punkt der Unumkehrbarkeit, an dem unser toxischer Müllcocktail wieder zu unserem eigenen Getränk wird, ein Punkt, an dem wir unter das "Urteil" des Ökosystms fallen. Kein Subsystem, das versucht, sich dem System Gottes gleichzustellen, kann von Dauer sein.

Mit Kol 1,15ff zu behaupten, dass Gott alle Mächte erschaffen hat, impliziert nicht, dass Gott eine bestimmte Macht zu einer gegebenen Zeit billigt. Gott hat weder den Kapitalismus noch den Sozialismus erschaffen, aber irgendein Wirtschaftssystem ist für menschliches Leben notwendig. Manche Institutionen und Ideologien, wie der Nazismus oder der Sexismus können nur transformiert werden, indem sie fallengelassen oder zerstört und durch eine Regierungsform oder Geschlechterbeziehung ersetzt werden, die Gottes Intention gemäßer ist. Aber die notwendige gesellschaftliche Funktion, die sie aufgötzendienerischer Weise pervertiert haben, wird erhalten bleiben. Nach Gottes Plan sollen Menschen zur Erfüllung ihrer Grundbedürfnisse zusammenarbeiten. Zu diesem Zweck gibt es nach Gottes Willen Subsysteme, deren einziger Sinn darin liegt, menschlichen Bedürfnissen zu dienen (wir brauchen zum Beispiel irgendeine Methode, um die Gesellschaft vor soziopathologischen Kriminellen zu schützen).

Die individuelle Erlösung kann nicht ohne die Erlösung unserer sozialen Strukturen geschehen. Erlösung im eigentlichen Sinn bedeutet, die Befreiung aus der Unterdrückung der Mächte, die Vergebung sowohl der eigenen Sünden als auch der eigenen Komplizenschaft mit den Mächten und schließlich die Befreiung der Mächte selbst von ihrer Bindung an den Götzendienst. Das Evangelium ist nicht eine Botschaft mit dem Ziel der Rettung der Menschen von der Welt, sondern die Nachricht von der Verwandlung der Welt insgesamt bis in ihre grundlegenden Strukturen hinein.

Das Herrschaftssystem und die Gewalt

Das allumfassende Geflecht von Mächten nennen wir das Herrschaftssystem. Ein Herrschaftssystem braucht einen Herrschaftsmythos: Den Mythos der erlösenden Gewalt. Er ist der tragende Mythos der modernen Welt. Weder Christentum, noch Kapitalismus, sondern allein die Gewalt ist die herrschende Religion unserer heutigen Gesellschaft.

Der biblische Schöpfungsmythos (Gen 1) ist eine Zurückweisung des babylonischen Schöpfungsmythos der erlösenden Gewalt. Die Bibel beschreibt einen guten Gott, der eine gute Schöpfung erschafft. Das Chaos widersetzt sich nicht der Ordnung. Das Gute geht dem Bösen voraus. Gewalt ist nicht die Lösung, sondern das Problem, das eine Lösung verlangt.

Kurz gefasst ist der Mythos der erlösenden Gewalt die Geschichte vom Sieg der Ordnung über das Chaos durch Gewalt. Er begründet die Ideologie der Eroberung, die ursprüngliche Religion der bestehenden Verhältnisse. Die Religion legitimiert Macht und Privilegien. Leben heißt Kampf. Frieden durch Krieg, Sicherheit durch Stärke.

In diesem Mythos wird das Überleben und Wohlergehen der Nation zum höchsten irdischen und himmlischen Gut. Dieser Mythos etabliert in der Mitte des Staates eine Religion des Patriotismus und verleiht darüber hinaus dem Imperialismus dieser Nation göttliche Bestätigung. Auf diese Weise bietet der Mythos der erlösenden Gewalt eine Spiritualität des Militarismus. Kraft göttlichen Rechts hat der Staat die Macht, das Leben seiner Bürger als Opfer zu fordern, um die Privilegien weniger zu erhalten. Reichtum und Wohlstand sind das Vorrecht derjenigen, die in einem solchen Staat herrschen.

Der Mythos der erlösenden Gewalt dient als innerer Geist des nationalen Sicherheitsstaates. Er liefert die göttliche Legitimierung für die weltweite Unterdrückung der Armen und für die Gewinnung von Reichtum aus den ärmeren Ländern.

Heil durch Identifikation: Alles hängt vom Sieg ab, der einem das Hochgefühl vermittelt, Teil einer Nation zu sein, die andere Staaten ihren Willen auferlegen kann. Die Alternative, das Böse in mir anzunehmen und Gott auch im Feind anzuerkennen, ist für viele Menschen einfach eine zu fremdartige Vorstellung.

Der Mythos der erlösenden Gewalt ist, kurz gesagt, ein verabsolutierter Nationalismus. Dieser Mythos spricht an Gottes Stelle, er hört nicht darauf, dass Gott spricht. Er ruft die Herrscht Gottes als seine eigene an; die prophetische Möglichkeit einer radikalen Verurteilung durch Gott zieht er nicht in Erwägung. Dieser Mythos eignet sich Sprache, Symbole und Schriften des Christentums an. Er sucht nicht Gott, um sich zu ändern, er ergreift Gott, um Veränderung zu verhindern. Der Gott dieses Mythos ist nicht der unparteiische Herrscher aller Nationen, sondern ein Stammesgott, der als Götze verehrt wird. Seine Metapher ist nicht der Weg, sondern die Festung. Sein Symbol nicht das Kreuz, sondern das Fadenkreuz eines Gewehrs. Er bietet nicht Vergebung an, sondern Sieg. Seine gute Nachricht ist nicht die unbedingte Liebe zum Feind, sondern die endgültige Vernichtung des Feindes. Rettung bedeutet ihm nicht die Verwandlung des Herzens, sondern eine erfolgreiche Außenpolitik. Der Mythos bemächtigt sich der in Jesus offenbarten Absicht Gottes für die Menschheit. Er ist Götzendienst. Er ist Gotteslästerung. Und er ist unermesslich beliebt.

Die Antwort Jesu auf das Herrschaftssystem

Reich Gottes/Königsherrschaft Gottes meint eigentlich "herrschaftsfreie Ordnung Gottes" ("Domination Free Order")

Fast jeder von Jesus gesprochene Satz ist eine Verurteilung des Herrschaftssystems oder dient der Aufdeckung einer Alternative zu diesem System. Seine Nachfolger sollen in herrschaftsfreien Beziehungen, in einer auch Frauen einschließenden Jüngerschaft von Gleichen leben.

Da wirtschaftliche Ungleichheit die Grundlage von Herrschaft ist, zielt das Evangelium Jesu auf Gleichheit ab. Das Herrschaftssystem zerbrechen bedeutet, die wirtschaftliche Ausbeutung der Vielen durch die Wenigen zu beenden. Da die Mächtigen wohl kaum bereit sein werden, ihrem Reichtum zu entsagen, müssen die Armen Wege finden, die Epoche des Herrschaftssystems von innen heraus zu überwinden. So fordert Jesus Gläubiger auf, nicht nur auf Zinsen zu verzichten, sondern überhaupt keine Rückzahlung zu fordern. Er rät denen, die ihm nachfolgen wollen, ihren Besitz zu verkaufen; den Reichen gibt er warnend zu verstehen, dass sie keinen Zugang zu der kommenden, neuen Gesellschaft haben werden. Den Traum der Religiösen, "spirituell" sein zu wollen und trotzdem in einem ungerechten System Reichtum anzusammeln, lehnt Jesus bedingungslos ab: "Ihr könnt nicht Gott dienen und dem Mammon", "Eher geht ein Kamel durch ein Nadelöhr, als dass ein Reicher in das Reich Gottes gelangt".

Seine Nachfolger sollen jetzt anfangen, so zu leben, als habe die neue Ordnung schon begonnen. Jesus und seine Jünger teilten sich einen gemeinsamen Geldbeutel. Er sendet sie ohne Nahrung, Geld oder zusätzliche Kleidung aus, die neue Ordnung zu predigen. Sie sollen sich auf die Vorsehung Gottes verlassen, die sich zeigt in der Freigebigkeit ihrer Zuhörer. Sie "hatten alles gemeinsam. Sie verkauften Hab und Gut und gaben davon allen, jedem so viel, wie er nötig hatte". Den Reichen unter ihnen sollen sie keinen besonderen Status einräumen.

Diese neue herrschaftsfreie Ordnung Gottes wird nicht beschrieben, als würde sie vom Himmel auf die Erde herabkommen; still und unbemerkt steigt sie aus dem Land empor. Sie wird nicht durch Armeen und militärische Macht etabliert, sondern durch einen unaufhaltsamen Wachstumsprozess von unten, aus dem einfachen Volk. Jesus beginnt damit diesen Prozess in Kraft zu setzen.

Eine Gesellschaft mit ungerechter Güterverteilung braucht Gewalt. Jesus lehnt Gewalt ab. Er war eher bereit, das Kreuz zu erleiden als seinem eigenen, gewaltfreien Weg untreu zu werden.

Dem reichen Jüngling, der fragt, ob er Jesus folgen dürfe, antwortet dieser, er solle alles verkaufen, es den Armen (nicht etwa den Jüngern) geben, und ihm mittellos folgen. Die Frauen macht er dagegen zu Förderinnen und Wohltäterinnen. Frauen besaßen damals als Zeuginnen nur geringe Glaubwürdigkeit. Wie seltsam, dass Gott dann ausgerechnet Frauen zu Zeuginnen der Auferstehung Jesu erwählte. Die Wiederherstellung der vollen Menschlichkeit der Frauen in der Partnerschaft mit Männern war für Jesus ein wesentlicher Aspekt der Verwirklichung der herrschaftsfreien Ordnung Gottes.

Im Gegensatz zur traditionellen Ansicht, dass Unreinheit ansteckend sei, hat Jesus Heiligkeit und Ganzheit für ansteckend gehalten. Heiligkeit war seiner Ansicht nach nicht schutzbedürftig; vielmehr war sie Gottes wunderbare Macht der Verwandlung. Gottes Heiligkeit kann nicht besudelt werden, sondern ist im Gegenteil selbst eine reinigende und heilende Kraft.

Jesus konnte aufgrund seiner kritischen Haltung Herrschaft gegenüber kaum etwas Gutes über die Familie sagen. Jesus distanzierte sich von der durch genetische Verwandtschaft konstituierten Familie und bietet eine Alternative an, eine neue Familie, die aus denen besteht, deren Illusionen zerstört wurden, die nicht durch das Blut als stärkstes aller Bande verbunden sind, sondern durch ihre Solidarität in der Arbeit an Gottes Werk. Jesus unterläuft alle patriarchalen Strukturen in dem er den Namen "Vater" allein für Gott verwendet. Keiner kann nun die Autorität des Vaters beanspruchen, weil diese Macht allein Gott gehört. Das Ziel ist nicht die Beseitigung der natürlichen Familie, sondern ihre Verwandlung in eine nicht-patriarchale, von Gegenseitigkeit und Liebe gekennzeichnetn Gemeinschaft. In diesem Kontext können wir manche Appelle, die eine Wiederbelebung der "familiären Werte" intendieren, als Versuch entlarven, die patriarchale Herrscht wiederherzustellen.

Die Kirche hat allmählich erkannt, dass Jesu Leben und seine Lehre die Theologie der Heiligkeit, auf der der Tempelkult basiert, untergraben haben. Sein Tod hat das ganze Opfersystem bloßgestellt und annuliert. Jesu Kreuzigung hat das innere Wesen des Opfersystems aufgedeckt, das das Bedürfnis nach einer stellvertretenden Schlachtung in die Gottheit hinein projiziert. Die Kirche verstand den Tod Jesu als das Opfer, das den Opferkult selbst als eine Perversion des göttlichen Willens enthüllt hat.

[Jesu Opfer ist kein Besänftigungsopfer, sondern eine Entlarvung des Opferkults. Es ist nicht das letzte, ultimative Opfer, weil es so "groß" und wirkmächtig war, sondern weil es die Absurdität des Opferkults endgültig enthüllt. Hier kommt alles zusammen: kompromisslose Gewaltlosigkeit, Ablehnung des stellvertretenden Opfers, Hoffen auf Gottes gute Macht der herrschaftslosen Ordnung, ohne sich den Mitteln des Systems bedienen zu müssen. In dieser Haltung muss auch das Abendmahl gefeiert werden, und nicht als rituelles Opfer! (emk)]

Die Mächte hatten ihre letzte Strafmaßnahme gegen Jesus eingesetzt und ihn nicht zum Schweigen bringen können. Nicht einmal der Tod konnte ihn festhalten. Wenn aber ein einfacher galiläischer Handwerker tatsächlich dem gesamten Herrschaftssystem widerstanden und dabei gesiegt hat, dann ist die Macht der herrschenden Mächte doch nicht endgültig. Eine andere Macht wirkt im Universum, so wie Wasser den Stein schneidet: gewaltfreie Liebe.

Jesu Vision ging über eine Revolution hinaus. Sein Kampf galt den grundlegenden Annahmen und Strukturen der Unterdrückung, dem Herrschaftssystem an sich. Seine Vision war eine verwandelte Welt, in der sowohl die Menschen als auch die Mächte sich mit dem Höchsten in Einklang befinden und sich dem Gemeinwohl widmen, dem also, was von manchen als "Königsherrschaft" Gottes bezeichnet wird. Wie auch immer wir die kommende neue Ordnung Gottes bezeichnen mögen, wie lange es auch dauern mag, sie auf der Erde zu verwirklichen, wir wissen, dass sie die von Jesus artikulierten Werte verkörpern wird.

Gewaltspirale durchbrechen

Wenn die Mächte dieser Welt den geringsten Hauch von Gottes neuer Ordnung wittern, bieten sie ohne Umschweife all ihre Kräfte auf, um diese Ordnung zu zerschlagen. Jesus wurde nicht durch Unglauben getötet, sondern durch Religion; nicht durch Gesetzlosigkeit, sondern durch das Gesetz, nicht durch Anarchie, sondern durch Vertreter der Ordnung.

Der französische Philosoph Girad versteht die Hebräische Bibel insgesamt als langen, mühsamen Auszug aus der Welt der Gewalt, ein wiederholt von Rückfällen heimgesuchter Auszug. Gewaltausübung ist die mit Abstand am häufigsten erwähnte Aktivität Gottes in der Bibel. Diese Gewalt ist zum Teil ein Überrest falscher Gottesvorstellungen, ein Relikt der Menschheitsgeschichte. Die uns heute so unangenehm berührende Gewalttätigkeit in der Schrift wurde zum Mittel, um uns zu zeigen, was geheiligte Gewalt in Wahrheit bedeutet: eine im Namen Gottes an den Opfern vollzogene Lüge. Gott bediente sich der (menschlichen) Gewalt, um Gewalt bloßzustellen und um die göttliche Natur als gewaltfrei zu offenbaren. Im Neuen Testament wird der Sündenbockmechanismus vollständig enthüllt und widerrufen. Hier haben wir endlich eine aus der Perspektive der Opfer geschriebene Sammlung. Gott wird nicht als derjenige offenbart, der das Opfer fordert, sondern als derjenige, der die Rolle des Geopferten übernimmt.

Die frühe Kirche war nicht in der Lage, die Intensität dieser Offenbarung aufrechtzuerhalten. Sie hat Gottes Absicht, den Sündenbockmechanismus aufzudecken, mit der Idee verwechselt, Gott habe Jesu Tod beabsichtigt. Das führte dazu, die neue Offenbarung in die alte Sündenbocktheologie einzufügen. Demzufolge wurde Jesus von Gott gesandt, um der lezte Sündenbock zu sein und um uns ein für alle Mal mit Gott zu versöhnen (vgl. Brief an die Hebräer). Dadurch wurden allerdings die herrschenden Mächte freigesprochen.

Seit den Tagen Johannes des Täufers bis heute hat die Königsherrschaft Gottes Gewalt erlitten (Mt 11,12)

Die christliche Theologie behauptete, dass es Gott selbst ist der Jesus als Opferlamm an unserer Stelle vorgesehen hat; dass Gott der Beleidigte und Zornige ist, der durch das Opfer des Blutes besänftigt werden muss. Anstatt dass Gott durch Jesu gewaltfreie Selbstopferung am Kreuz über die herrschenden Mächte triumphiert, geraten diese aus dem Blick, und Gott ist in eine Handlung involviert, die gänzlich innerhalb seiner Person stattfindet.

Paulus war offenbar nicht in der Lage, die Erkenntnis, dass Christus das Ende des Opfrs bedeutet, von dem Gedanken, Christus sei das endgültige Opfer, dessen Tod uns mit Gott versöhnt, durchgehend zu unterscheiden.

Der falsche Gott verwandelt Leiden in Gewalt, der wahre Gott dagegen verwandelt Gewalt in Leiden (Simone Weil). Ein Nachkomme des wahren Gottes zu sein, erfordert die unbedingte Absage an Gewalt. Die Königsherrschaft Gottes bedeutet die Beseitigung jeder Form der Gewalt, sowohl zwischen Individuen, als auch zwischen Nationen.

Die "Christus-Sieger-Vorstellung" der Sühne besagt, dass es gerade die Mächte selbst sind, die von Christus überwunden wurden. Die Vergebung, von der in Kol 2, 13-15 die Rede ist, ist die Vergebung für unsere Komplizenschaft, sowohl bei unserer eigenen Unterdrückung, als auch bei der Unterdrückung anderer. Unsere Entfremdung resultiert nicht allein aus unserer Rebellion gegen Gott, sie entspringt auch unserer durch entfremdende Regeln und Forderungen geprägten Sozialisation. Wir geben unser eigentliches Wesen nicht freiwillig auf, es wird uns durch die Mächte gestohlen. Bis wir das Alter der freien Entscheidung erreichen, werden unsere Entscheidungen zum großen Teil durch ein System für uns getroffen, dem unsere Einzigartigkeit nichts bedeutet. Das religiöse Gesetz ist selbst eine der Mächte, die uns von der Liebe Gottes trennen; es ist der "Buchstabe" der "tötet" (2 Kor 3,6). Deswegen hat Jesus "sein Leben hingegeben, um uns aus dieser Epoche der Herrschaft zu befreien" (Gal 1,4).

Jesus wurde vergöttlicht. Die Messe wurde ein fortwährendes Opfer, statt das Ende allen Opferns darzustellen. Nicht Gott muss besänftigt, sondern die Menschen müssen von ihrem Hass (auf Gott) erlöst werden. Als die frühen Christen verkündeten, dass "in keinem anderen das Heil zu finden ist" (Apg 4,12), sollte das in einem engen Sinn verstanden werden: Durch Jesus wird der Sündenbockmechanismus überwunden und die Spirale der Gewalt unterbrochen. Wenn Gewalt auftritt, wird sie nicht von einem Rachegott verübt, sondern durch uns selbst. Der "Zorn" oder das Gericht Gottes besteht genau darin, dass Gott uns "preisgegeben" hat an die Konsequenzen unserer eigenen Gewalt (vgl. Röm 1,18-32; Apg 7,42). Entweder wir lernen, die Spirale der Gewalt und der Schuldzuweisung anzuhalten, oder wir verzehren uns selbst - des Sündenbockmechanismus als Ventil für unsere Gewalttätigkeiten beraubt - in einer Apokalypse des Feuers.

Den Mächten sterben

Man kann sich von den Mächten nicht durch einen Frontalangriff befreien. Eher "entstirbt" man ihrer Kontrolle. "Wer sein Leben zu bewahren sucht, wird es verlieren, wer es dagagegen verliert, wird es gewinnen." (Lk 17,33)
Wir seien durch die Mächte getötet worden, sagt der Epheserbrief: "Ihr ward tot durch eure Übertretungen und Sünden, in denen ihr einst gewandelt seid, folgend dem Weg des Herrschaftssystems (kosmos)" (nach Eph 2,1-2)
Wir stehen vor der Aufgabe, dem gesellschaftlich geprägten Ich zu "entsterben", um zu werden, wer man eigentlich hätte sein sollen: "Bringt ihm euren Leib als lebendiges Opfer dar" (Röm 12,1)
[-> das hat viel mit meinem Konzept der Nichtkooperation und des "vorauseilenden Abstiegs" zu tun (emk)]

Die "Wiedergeburt" ist nicht nur ein privates, inneres Ereignis. Sie schließt nämlich die Notwendigkeit ein, all demjenigen zu "entsterben", das uns in unserem gesellschaftlichen Umfeld uneigentlich geformt hat. Wir müssen sterben gegenüber Einstellungen wie Rassismus, falschem Patriotismus, Gier und Homophobie. Dem zweifellos authentischen religiösen Erlebnis der "Wiedergeburt" gelingt es oft nicht, zu einem fundamental veränderten Leben zu führen, weil die soziale Dimension der Ich-Zentriertheit nicht angesprochen wird.

Der dritte Weg Jesu

"Leistet dem Bösen keinen Widerstand" bedeutet nicht, ihm sich nicht zu widersetzen. Jesus hat sich mit allen Kräften gegen das Bösen engagiert. "Widerstehen" (antistenai vgl. Mt 5,39) ist ein termicus technicus für Kriegführung. Er bezeichnet den Aufmarsch gegnerischer Heere, die "Stellung beziehen". Antistenai bedeutet mit Gewalt zu widerstehen, an einem bewaffneten Aufstand teilzunehmen, ... Jesus lehrt uns, sich zu weigern, dem Bösen mit seinen eigenen Mitteln zu begegnen. Wir sollen nicht zulassen, dass der Gegner uns die Methoden unserer Gegnerschaft diktiert. Er bestärkt uns darin, über Passivität wie auch Gewalt hinauszugehen und einen dritten Weg zu finden, einen Weg, sich durchzusetzen und dennoch Gewalt zu meiden. "Vergeltet niemand Böses mit Bösem" (Röm 12,17; vgl. Thess 5,15,; 1 Petr 3,9) sollte besser übersetzt werden mit: "Verhaltet euch nicht gewaltsam gegenüber dem, der böse ist."

Die andere Wange hinhalten

"Wenn dich einer auf die rechte Wange schlägt, dann halt ihm auch die andere hin." (Mt 5,39b). Rechte Wange = mit Handrücken schlagen = Erniedrigung eines Untergebenen/Sklaven. Die andere Wange hinhalten bedeutet, dass man nicht mehr mit dem Handrücken schlagen kann, sondern nur noch mit der (rechten) Faust (ausprobieren!!!).
Faustkampf findet aber nur zwischen Gleichgestellten statt. Dieser Akt des Trotzes macht den Herrn unfähig, seine Dominanz in der Beziehung durchzusetzen. Er kann den Sklaven schlagen lassen, weiterhin einschüchtern kann er ihn aber nicht. Indem er die andere Wange hinhält, sagt der "Untergeordnete": "Ich bin ein Mensch genau wie du. Ich weigere mich, mich länger demütigen zu lassen. Ich bin dir gleich, ein Kind Gottes. Ich nehme es nicht länger hin." (Eine solche Weigerung ist kein Weg, Schwierigkeiten zu vermeiden.)
Wenn große Gruppen anfangen, sich so zu verhalten (und Jesus sprach zu einer Menschenmenge), hat man es mit einer sozialen Revolution zu tun.

"Das erste Prinzip gewaltfreien Handelns besteht darin, jegliche Kooperation mit der Erniedrigung zu verweigern", so hat Gandhi formuliert.

Sich nackt ausziehen

Jesus spricht zu Armen: "wenn jemand dich verklagt." Es geht um Schuldpfändung. Nacktheit war ein Tabu im Judentum und die Schande fiel weniger auf die nackte Person selbst, als auf diejenigen, welche die Nacktheit sahen oder verursachten. Indem er sich auszieht, beschämt der Schuldner also den Gläubiger. (vgl. auch Franziskus).
Man stelle sich das Gelächter vor, das diese Rede Jesu provoziert haben muss. Es ist "Guerillatheater". Das ganze System, durch das die Schuldner unterdrückt werden, ist öffentlich demaskiert worden. Diese Demaskierung ist mehr als eine Strafe, denn sie eröffnet dem Gläubiger eine Möglichkeit, vielleicht zum ersten Mal in seinem Leben, die Folgen seiner Handlungen zu erkennen und zu bereuen. Die herrschenden Mächte stehen und fallen mit ihrem Ansehen. Sie auf geschickte Weise lächerlich zu machen, holt sie so schnell vom hohen Ross, wie nichts sonst.

Diese Weisungen wollen die Welt nicht auf einen Schlag verbessern, sondern durch eine handhabbare Strategie den Unterdrückten Macht vermitteln. Jesu Lehre der Gewaltfreiheit vermittelt eine Ahnung davon, wie man ein ganzes System angreifen kann, indem man die dahinterstehende Grausamkeit aufdeckt und die angemaßte Gerechtigkeit verspottet. Wir können die Gesetze so annehmen, wie sie geschrieben stehen, sie bis zur Lächerlichkeit ausführen und so kenntlich machen, wozu sie in Wirklichkeit dienen.

[-> es gibt ein breites Feld, die Folgen der eigenen Handlungen spürbar zu machen. Die indirekte Ausbeutung und Umweltzerstörung, Tierqualen, ... kann in kreativen Aktionen des Zivilen Ungehorsams erfahrbar gemacht werden. (emk)]

Die zweite Meile mitgehen

Jesus war sich der Sinnlosigkeit eines bewaffneten Aufstands gegen die imperiale römische Macht bewusst. Es war ein Verstoß gegen den Militärkodex, das Gepäck eine zweite Meile tragen zu lassen. Wie bei den anderen beiden Fällen lautet die Frage hier: Wie kann der Unterdrückte die Initiative ergreifen und seine Menschenwürde in einer Situation behaupten, die im Augenblick nicht zu ändern ist? Die Regeln sind des Kaisers, aber die Erfüllung der Regeln gehört Gott, und darüber hat der Kaiser keine Macht.

Der Legionäre kann es nicht einordnen, was da gerade geschieht: ist es eine Provokation oder Beleidigung (Du bist zu schwach es selbst zu tragen)? Eine Gefälligkeit? Ein Versuch, ihm ein Disziplinarverfahren einzubrocken, weil es aussieht, als habe er die Regeln für den Zwangsdienst verletzt? Wenn er bis dahin das Gefühl der Überlegenheit genossen hatte, kann er das jetzt nicht mehr. Solch ein Taktik lässt sich selten direkt wiederholen. Es gilt also, kreativ zu sein und ständig neue Methoden zu improvisieren, um den Gegner aus dem Gleichgewicht zu bringen.

[-> Übererfüllen von Regeln, Regeln so erfüllen, dass es dem Einfordernden z.B. mehr Arbeit macht als nützt, Regeln "beim Wort nehmen" ... kann man in vielen Bereichen kreativ entwickeln. (emk)]

Jesus lehrt, dass wir nicht darauf warten müssen, dass die herrschenden Mächte besiegt sind. Wir können jetzt schon anfangen, mit wieder gewonnener Menschenwürde zu handeln, auch unter den unveränderten Bedingungen der alten Ordnung. Jesu Lehre ist ein wesentlicher Teil seiner Verkündigung der anbrechenden domination free order.

Eine gesellschaftliche Revolution wird politisch, wenn sie eine kritische Schwelle der Akzeptanz überschreitet; das ist im römischen Reich tatsächlich geschehen, als die christliche Kirche dieses von unten her überwand. Die "Geringen" konnten so unter dem Mantel der alten Gesellschaft die Fundamente von Gottes herrschaftsfreier Ordnung schaffen.

Zu einem unterdrückten Volk sagt Jesus:

Hört auf, in die Unterdrückung durch die herrschenden Mächte einzuwilligen; reagiert aber auch nicht mit Gewalt darauf. Sucht lieber einen dritten Weg, einen Weg, der weder Unterwerfung noch Angriff ist, weder Kampf noch Flucht; einen Weg, der euch jetzt eure Menschenwürde sichert. Fangt an, die Machtverteilung schon jetzt, schon vor der Revolution, zu ändern!

Jesus setzt sich nicht für Gewaltfreiheit als bloße Technik zum Überlisten des Feindes ein, sondern sieht sie als gerechtes Mittel, sich dem Feind auf eine Weise zu widersetzen, die auch die Möglichkeit offen hält, gerecht zu werden. Letztlich müssen beide Seiten gewinnen. Wir sind aufgerufen, für die Verwandlung unserer Feinde zu beten. Jesu dritte Weg verspricht, sowohl die Unterdrückten vom Übel wie auch die Unterdrücker von der Sünde zu befreien.

Ein paar Menschen, die danach gelebt haben: Lew Tolstoi, Mahatma Gandhi, Muriel Lester, Martin Luther King, Dorothy Day, César Chavez, Hildegard und Jean Goss-Mayr, Mairead Corrigan Maguire, Adolfo Pérez Esquivel, Aung San Suu Kyi.

Die Praxis der Gewaltfreiheit

Jesus zeigt einen Weg auf, mit ganzer Kraft den Kampf gegen die herrschenden Mächte aufzunehmen, ohne selbst in das verwandelt zu werden, was wir bekämpfen. Wir sollten uns dabei von folgenden Prinzipien leiten lassen: die Übereinstimmung von Mittel und Zweck und die Achtung der Rechtsstaatlichkeit.

Die eingesetzten Mittel müssen der angestrebten neuen Ordnung entsprechen. Entweder wir leben nach der neuen Ordnung, oder nicht. Es ist nicht möglich, zu sagen: "wenn wir erst mal die alte Ordnung überwunden haben, dann ...". Die gewaltfreie Revolution ist kein Programm zur Machtergreifung. Sie stellt nach Gandhi ein Programm zur Verwandlung von Beziehungen dar, ein Programm, das mit einer friedlichen Machtübergabe endet.

Kein Befürworter des dritten Weges würde versuchen, nach der Verletzung eines ungerechten Gesetzes unbehelligt davon zu kommen. Andernfalls würde das Chaos der Gesetzlosigkeit in einer Gesellschaft, die ohnehin unter lagalisierter Ungerechtigkeit leidet, nur noch stärker. Gott will politische Ordnung, kein Chaos. Menschliches Leben ist ohne Rechtsstaatlichkeit nicht möglich. Das hat zur Folge, dass man bei der Ausübung von zivilem Ungehorsam immer eine tiefe Achtung vor dem Gesetz bewahren muss. In der Tat ist es ja gerade die freiwillige Unterwerfung unter die gesetzliche Strafe, die von leichtfertigen Rechtsverletzungen abhält. In der Nachfolge Jesu sollten auch wir uns stetig weigern, ungerechten Gesetzen Folge zu leisten. Indem wir aber die Strafe des Rechtssystems auf uns nehmen, bestätigen wir unsere Bereitschaft, für das höhere Gesetz zu leiden, das nach unserem Entschluss das herrschende Gesetz transformieren soll.
Wenn wir Gewaltfreiheit neu und kreativ einsetzen, werden diese Grundprinzipien verhindern, sich gehen zu lassen und beliebige Gesetze zu übertreten.

Der Einsatz von Gewalt versagt immer als Lösung von Konflikten, da mindestens eine Seite stets verliert. Nur Gewaltfreie Aktion kann ermöglichen, dass beide Seiten gewinnen.

Der große Vorteil von gewaltfreier "people power" besteht darin, dass sie von einfachen Leuten praktiziert werden kann. Die Gewaltfreiheit Jesu richtet sich nicht an die bereits Vollkommenen, sondern an verängstigte, frustrierte und sogar gewalttätige Menschen, die dennoch offen sind für Veränderung. Er vertritt eine nachvollziehbare und anwendbare Form der Gewaltfreiheit, die jedem in jedem Alter nahe gebracht werden kann. Nicht nur junge Männer im wehrfähigen Alter, sondern alle Teile der Bevölkerung, von Kleinkindern bis hin zu den Alten können sich daran beteiligen.

Eine muss aber klar sein: Wenn unsere gewaltfreien Aktionen effektiv sein sollen, werden wir genauso bereit sein müssen, zu leiden und getötet zu werden wie Soldaten in der Schlacht. Die Gewaltfreiheit ist keine Methode, persönliche Opfer zu vermeiden.

Gewaltfreiheit darf auch nicht als Konfliktvermeidungsstrategie missverstanen werden. Der "Frieden" des Evangeliums bedeutet nie Konfliktfreiheit, sondern eine unaussprechliche, göttliche Stärkung im Zentrum des Konflikts. Gewaltfreiheit sucht und provoziert in einem gewissen Sinne sogar den Konflikt um ihn ans Licht zu bringen, offen zu legen und seine eiternden Geschwüre aufzustechen.

Das Ziel der Gewaltfreiheit ist nicht der Sieg über den Feind, sondern eine Verwandlung, die nur durch Liebe möglich ist. Diese Verwandlung kann uns selbst genauso verändern wie die Menschen, denen wir uns entgegen stellen. Die Gewaltfreiheit ist eine Öffnung hin zu Gott. Sie ist Fürbitte im konkreten Vollzug. Sie richtet sich an das Göttliche im Anderen, wie die Quäker es ausdrücken. Sie gibt dem Wunder Raum. Die Liebe zu unseren Feinden kann den Abbau unserer eigenen Verteidigungshaltung erfordern und manchmal auch unseren Herzen einen schmerzvollen Ruck abverlangen.

Ich vermute, dass jede Ungerechtigkeit, die uns tief bewegt, auf irgendeine Weise unsere eigenen, persönlichen Wunden wieder öffnet. Die Verbissenheit unseres Widerstands gegen das Böse kann darauf hinweisen, dass ein Teil unseres Selbst das Verhalten, dem wir uns entgegenstellen, nachahmen möchte. Manchmal finden z.B. Menschen Friedensfragen deswegen anziehend, weil sie eigene innere Gewaltneigungen bekämpfen, die sie auf den "Feind" projiziert haben. Oft finden wir im Widerstand gegen das Böse unsere Identität. Auf diese Weie können wir dann mit uns selbst zufrieden sein. Der Kampf gegen das Böse kann uns Böse machen. (Dagegen soll uns die Rüstung Gottes (Eph 6,10-20) schützen.) Aber diese Kämpfe sind vielleicht die einzige Möglichkeit, die innere, spirituelle Arbeit zu entdecken, die unser Schicksal von uns verlangt.

Jesu Weg der Gewaltfreiheit ist die einzige Möglichkeit, das Böse zu überwinden, ohne neue Formen des Bösen zu schaffen und uns dabei selbst zu verderben. Selbstmörderisch erscheint denen die Gewaltfreiheit, die in die Falle des Mythos der erlösenden Gewalt sitzen.

Jenseits von Pazifismus und gerechtem Krieg

Jesus betrachtete Gewaltfreiheit als direkten Ausdruck der Natur Gottes und der neuen Wirklichkeit, die nun von Gott kommend in die Welt einbrach. Gewaltfreiheit ist nicht nur ein Mittel zur Verwirklichung der Gottesherrschaft, sie ist eine Wesenseigenschaft dieser "Herrschaft". Wer gewaltfrei lebt, offenbart bereits die verwandelte Wirklichkeit der göttlichen Ordnung, obwohl er noch unter der Gerichtsbarkeit des alten Herrschaftssystems steht.

Die christlich-moralische Beurteilung eines Krieges folgt tendenziell der Fahne des eigenen Landes (bzw. der Verbündeten) und es gibt wenige, die wie Amos oder Jesaja oder auch Henry David Thoreau zu der Einsicht fähig sind, dass Gott vielleicht nicht auf der Seite ihres Landes stehe.

Gewalt lässt sich niemals durch Gewalt verhindern, weil gerade ihr "Erfolg" andere dazu verführt, sie nachzuahmen. Paradoxerweise ist Gewalt dann am gefährlichsten, wenn sie erfolgreich ist.

Der Gott, der ein versklavtes Volk durch den Auszug aus Ägypten befreit hat, wurde als Retter der ganzen Menschheit aus der Unterdrückung erkannt. Die in der biblischen Tradition mit Gott in Verbindung gebrachte Gewalt wurde abgestreift, und Gott wurde als ein liebendes Elternteil offenbart. Die Gewalttätigkeit der herrschenden Mächte und ihre Verzweckung Gottes zur Rechtfertigung von Unterdrückung wurden aufgedeckt.

Christen leben nicht gewaltfrei, um erlöst zu werden oder um einer absoluten, ethischen Norm zu entsprechen, sondern weil wir dem Herrschaftssystem ein Ende setzen wollen. Gewaltfreiheit ist nicht eine Frage normgerechten Verhaltens, sondern eine Frage der Nachfolge. Sie ist der von Gott gewählte Weg zur Überwindung des Bösen in der Welt. Gewaltfreiheit steht im Zentrum des Evangeliums, und es ist Aufgabe der Kirche zu versuchen, diesen Sauerteig ins Leben der Welt einzubringen.

Gewaltfreiheit scheitert nie, weil jede gewaltfreie Handlung den Einbruch der neuen Ordnung Gottes in die Welt offenbart. Gewalt erzeugt bei Versagen Verzweiflung, da sie als ultima ratio, als letztes Mittel, gilt; wenn sie dagegen gelingt, kann sie den Glauben an die erlösende Macht des Todes stärken.

[emk: Die explosionsartig steigenden Todeszahlen und der wachsende Anteil an zivilen Opfern zeigt, dass wir heute nicht in einem humaneren Zeitalter leben als früher. Die UNO und die sog. "Demokratien" haben komplett versagt, weil sie sich nicht vom Mythos der erlösenden Gewalt lösen konnten. Im Gegenteil: obwohl das Bild von einer immer zivilierteren, gewaltfreiheren (westlichen) Welt vorherrscht, wird die Welt immer gewalttätiger. Und wenn es nicht körperliche Gewalt ist, dann ist es systemische Gewalt, die Menschen dazu zwingt "freiwillig" dem System zu dienen.]

Mt 5,39: Jesus hat hat nicht Widerstandslosigkeit gelehrt, er hat vielmehr den gewaltsamen Widerstand zugunsten von gewaltlosem Widerstand verworfen. Jesus hat Christen nicht verboten, sich selbst zu verteidigen. Sie sollen es aber ohne Gewalt tun. Jesus hat nicht gleichgültige Passivität angesichts des Bösen gelehrt. Dieses wollte er ja gerade überwinden!

Manche Pazifisten weigern sich, sich an gewaltfreien direkten Aktionen oder an zivilem Ungehorsam zu beteiligen, mit dem Argument, solche Handlungen übten Zwang aus. Jesu dritter Weg übt durchaus Zwang aus, sofern er Unterdrücker zwingt, Entscheidungen zu treffen, die sie lieber vermeiden würden. Der Zwang ist aber nie tödlich; sein großer Vorteil besteht darin, dass unsere Gegner noch am Leben sind und unsere Entschuldigung noch akzeptieren können, für den Fall, dass wir eine falsche Entscheidung getroffen haben sollten.

Jesu Lehre führt uns über gerechten Krieg und passiven Pazifismus hinaus zu einer kämpferischen Gewaltfreiheit, die schon jetzt das Ethos der herrschaftsfreien Zukunft Gottes verwirklicht.

Das Zeugnis der Kirche sollte dem kleinsten Kind veständlich sein: Wir widersetzen uns der Gewalt in jeder Form. Wir tun das, weil wir die Herrschaft an sch ablehnen. Das bedeutet: keinn Missbrauch, keine Schläge, keine Vergewaltigung, keine körperliche Gewalt, keine Misshandlungen, keine männliche Dominanz, keine Kriege und keinerlei weitere Schädigung der Umwelt.

[Walter Wink interpretiert unseren Umgang mit der Schöpfung als gewaltvolles Handeln, das im Reich Gottes nicht mehr möglich ist! (emk)]

Wir können Gewaltfreiheit vorbehaltlos bejahen, weil Gewaltfreiheit der Weg ist, auf dem sich die herrschaftsfreie Ordnung Gottes durchsetzt.

Gewaltfreiheit erproben

Unsere Gesellschaft ist gegenüber der Gewalt so abgestumptf, dass es ihr schwer fällt, an etwas anderes zu glauben. Menschen vertrauen der Gewalt. Gewalt "rettet", sie "erlöst". Wenn wir das Überleben aber zum höchsten Gut und den Tod zum größten Übel machen, liefern wir uns selber an die Götter des Herrschaftssystems aus. Wir vertrauen der Gewalt, weil wir Angst haben. Und wir werden unsere Ängste nicht loslassen, bis wir uns eine bessere Alternative vorstellen können.

Die meisten Angreifer gehen von einer bestimmten Erwartungskonstellation in Bezug auf die Reaktion eines Opfers aus. Sie brauchen ein Opfer, das sich wie ein Opfer verhält. Wenn es dagegen gelingt, eine Verwunderung zu provozieren, kann sie die Feindschaft auflösen. Man kann sich nicht gleichzeitig wundern und feindselig sein. Man kann einen "Kontext der Umkehr" erzeugen und beim Gegenüber eine Regung zur Nachahmung auslösen. Das fängt damit an, den Angreifer als Mensch zu behandeln und einen Gesprächskontext auf Augenhöhe herzustellen.

Das gilt selbst für die Hitlerzeit: Jeder Versuch, gewaltfrei gegen Hitler vorzugehen, hat tatsächlich gewirkt. Alle jüdischen Bürger Bulgariens wurden durch gewaltfreie Aktionen vor den Todeslagern der Nazis gerettet, das gilt auch für die jüdischen Bürger Finnlands (bis auf 6) und 6500 der 7000 jüdischen Bürger Dänemarks konnten dadurch nach Schweden fliehen. Selbst einige Besatzer hatten sich daran beteiligt. Deutsche Ehefrauen jüdischer Männer haben mitten im Krieg in Berlin für die Freilassung ihrer Männer demonstriert und deren Freilassung für die ganze Dauer des Krieges erwirkt. In Italien überlebte ein Großteil der Juden, weil sowohl Beamte wie Bürger die Bestrebungen sabotiert haben, sie den Deutschen auszuliefern.
Während der deutschen Besatzung Hollands hat ein Generalstreik aller Eisenbahnarbeiter den Verkehr von November 1944 bis zur Befreiung im Mai 1945 praktisch lahmgelegt, und das trotz der extremen Notlage der Bevölkerung, die den ganzen Winter hindurch ohne Heizung und mit schwindenden Lebensmittelreserven ausharrte. Ähnlicher Widerstand in Norwegen hinderte Hitlers Vertreter Vidkun Quisling daran, seinem Land einen faschistischen "korporativen Staat" aufzuzwingen.

... Es gibt auch einfach tragische Situationen, in denen nichts, was wir uns vorstellen können, helfen mag. In solchen Situationen sind sowohl Gewaltfreie wie auch Gewaltbereite gezwungen, die Qual ihrer Bedeutungslosigkeit zu ertragen und möglicherweise zu den Opfern zu zählen.

Unsere Fähigkeit, im Augenblick der Krise eine kreative, gewaltfreie Reaktion zu entdecken, hänge zumindest zu einem gewissen Grad davon ab, ob wir sie in unserem Alltagsleben bereits erproben.

... Mir scheint aber das eigentliche Wesen des Christentums im Kreuz zu liegen. Nur durch das Kreuz werden wir uns verändern. Ich bin zu der Überzeugung gekommen, dass die schöpferische Gewaltfreiheit ein zentrales Element der Evangelisation und der Verkündigung des Evangeliums werden muss.

Ich glaube nicht, dass man durch Vernunft zur Gewaltfreiheit kommt. Wir können sie als spirituelle Haltung entwickeln und die notwendige Gnade erhalten, um sie zu praktizieren. Gewaltfreiheit ist nicht unvernünftig, sie ist aber auch nicht naturgegeben. Es ist natürlich, zurückzuschlagen, wenn dich jemand schlägt. Wir sind aber dazu berufen, übernatürlich zu sein. Das erreichen wir nicht durch unsere Natur, sondern durch das Gebet.

Wenn ein unterdrückerisches Regime jede Gelegenheit zur Gerechtigkeit vergeudet hat und die Leidensfähigkeit des Volkes so überdehnt wird, dass sie bricht, dann ist die das Land heimsuchende Gewalt eine Art apokalyptisches Gericht. In einer solchen Zeit ist es nicht Sache der Christen, jene zu verurteilen, die aus Verzweiflung zur Gewalt greifen. Die Schuld liegt bei denjenigen, die die Gerechtigkeit beiseite geschoben haben.

Wir müssen Zwang und Gewalt unterscheiden: Zwang ist legitime, gesellschaftlich autorisierte und moralisch vertretbare Freiheitsbeschränkung zur Abwendung von Schaden an unschuldigen Menschen. Gewalt wäre dagegen ein moralisch unvertretbarer und übermäßiger Einsatz von Zwang.

Gewaltfreiheit wirkt im Allgemeinen da, wo Gewalt wirkt und wo sie fehlschlägt, würde meist auch Gewalt misslingen.

Der Feind als Geschenk

Die entscheidende religiöse Frage heute muss lauten: "Wie können wir Gott in unseren Feinden finden?" Dieselbe Rolle, die für Martin Luther die Schuld spielte, spielt für uns heute die Angst. Die Lehren Jesu über die Feindesliebe und die gewaltfreie direkte Aktion haben sich als Prüfsteine eines echten Christentums heraus gestellt. Genau wie es der Teufel in den exorzistischen Überlieferungen nicht ertragen kann, den Namen Gottes zu hören, so können unsere gegenwärtigen Falschpropheten die Erwähnung der Feindesliebe nicht ertragen.

Jesus lebt diese neue Schöpfung in seiner Tischgemeinschaft mit Sündern und Abtrünnigen, mit Feinden Gottes. Er ist kühn zu den Sündern gestürmt mit der Erklärung, dass ihre Sünden vergeben werden, noch bevor sie gebüßt, bevor sie irgendwelche Maßnahmen der Wiedergutmachung oder Versöhnung unternommen hatten. Alles ist jetzt umgekehrt: Dir wird vergeben, jetzt kannst du Buße tun! Gott liebt dich, jetzt kannst du deine Augen zu Gott erheben! Die Feindschaft ist beendet; obwohl ihr Feinde wart, nimmt Gott dich an! Du musst nichts tun, um das zu verdienen.

Zu behaupten, Gott sitze nicht auf der Spitze einer Machtpyramide und legitimiere den ganzen Bau, er bevorzuge nicht einige und weise andere ab, bedeutet, die gesamte Struktur als menschliche Machenschaft bloßzulegen, als die Missachtung des eigentlichen Wesens Gottes. Seine allumfassende, elterliche Sorge trägt also eine unerwartete Konsequenz für das menschliche Verhalten: Wir können unsere Feinde lieben, weil auch Gott sie liebt. Wenn wir der eigentlichen Mitte des Universums entsprechen wollen, werden wir uns so verhalten, wie Gott sich verhält; und Gott umarmt alle gleichermaßen. Diese bereits von den Propheten Israels formulierte radikale Vision von Gott, die bei den herrschenden Mächten nie beliebt war, ist die Grundlage echter menschlicher Gemeinschaft.

Wir würden uns gerne als gerecht und gut bezeichnen, doch sind wir eher eine Mischung von Gerechtigkeit und Ungerechtigkeit, Gut und Böse. Hätte Gott mit uns kein Mitgefühl, wir wären verloren. Wenn aber Gott mit uns Erbarmen hat, mit unserer ganzen unerlösten Bösartigkeit, dann muss Gott mit unseren Feinden auch so umgehen. Sobald wir anfangen, den eigenen inneren Schatten anzuerkennen, werden wir dem Schatten anderer gegenüber toleranter. Sobald wir anfangen, den Feind in uns zu lieben, entwickeln wir das nötige Mitgefühl, um auch den äußeren Feind zu lieben.

Der Feind ist nicht einfach nur ein Hindernis, das wir auf dem Weg zu Gott überspringen müssen. Der Feind kann ein Weg zu Gott sein. Wir können uns mit unserem Schatten nicht aussöhnen, außer durch unseren Feind.

Durch Verständnis für die herrschenden Mächte wird es für uns noch leichter, unseren Feinden zu vergeben. Wenn unsere Unterdrücker "nicht wissen, was sie tun" (Lk 23,34), wenn auch sie Opfer eines trügerischen Systems sind, dann kann das wirkliche Ziel unseres Hasses und unserers Zorns nur das System selbst sein anstelle der Personen, die seine Befehle ausführen. Wir können in dem Wissen, dass selbst die unverbesserlichsten Gegner zu einer völligen Umkehr fähig sein können, einer Umkehr, die manche tatsächlich vollbracht haben, um die Verwandlung unser Feinde beten.

Die Identifizierung der Feinde birgt das Risiko, sie in ihrer Rolle festzulegen und ihre Umkehr zu blockieren. Das Gebot der Feindesliebe erinnert uns daran, dass unsere erste Aufgabe Unterdrückern gegenüber eine seelsorgerliche ist: ihnen zu helfen, die eigene Menschlichkeit wiederzuerlangen.

Manche geben bereitwillig zu, dass das Evangelium Gewaltfreiheit lehrt, argumentieren aber, dass diese nur gegen Regierungen und Gruppen eingesetzt werden kann, die ein minimales moralisches Niveau erreicht hätten. Hätte Jesus gewartet, bis die Römer ein minimales moralisches Niveau erreicht hätten, seine Botschaft der Gewaltfreiheit hätte er niemals artikulieren können. Es ist genau anders herum. Jesu Lehre setzt nicht ein gewisses Niveau von Anstand voraus, sondern stützt sich auf die Überzeugung, dass in jedem Menschen "etwas von Gott" vorhanden ist.

Im Grunde bedeutet Feindesliebe ein Leben in der Erwartung von Wundern.

Das Gebet und die Gewalten

Menschen, die beten, tun dies nicht, weil sie an bestimmte intellektuelle Thesen über den Wert des Gebets glauben, sondern weil der Kampf, menschlich zu bleiben im Angesicht übermenschlicher Mächte es verlangt.

Das Gebet ist nie eine private, von der alltäglichen Wirklickeit losgelöste innere Handlung. Es ist eher ein inneres Schlachtfeld, auf dem der entscheidende Sieg errungen wird, bevor der Angriff in der äußeren Welt überhaupt möglich ist. Wenn wir nicht die innere Befreiung durchlebt haben, bei der die einzelnen Maschen des Netzes, in dem wir gefangen sind, eine nach der anderen zerschnitten werden, kann es sein, dass unser Aktivismus nur eine Gegenideologie irgendeiner Gegenmacht widerspiegelt. Ohne den Schutz durch das Gebet ist unser Aktivismus der Gefahr unterworfen, zu einem selbstgerechten "guten Werk" zu werden.

Das Gebet kann als regelmäßige Pflicht ausgeübt werden, es kann sakramentale Form annehmen, kontemplativ sein oder andere traditionelle religiöse Formen annehmen. In jedem Fall handelt es sich nicht um eine von außen auferlegte religiöse Praxis, sondern um einen existenziellen Kampf gegen das "Unmögliche", gegen eine kollektive Atmosphäre der Unmenschlichkeit, gegen Wertvorstellungen, die das volle menschliche Leben hemmen und verkümmern lassen. Das Gebet ist das Feldlazarett, in dem die spirituellen Erkrankungen, denen wir durch die Mächte anheimgefallen sind, erkannt und behandelt werden können.

Die tiefere innere Wahrheit des Weltbilds von Offb 8,1-6 besteht darin, dass alles Sichtbare eine unsichtbare oder "himmliche" Dimension besitzt. Beim Gebet geht es in diesem Weltbild darum, den Fluss der vom Schicksal bestimmten Ereignisse aus der Höhe hinab auf die Erde zu lenken und einen neuen Fluss von der Erde zum Himmel hinauf zu initiieren, sodass Gottes Wille "wie auf Erden, so im Himmel" geschieht. Das ununterbrochene Spiel von Ursache und Wirkung wird für einen Augenblick zum Stillstand gebracht. Das Schicksal wird aufgehalten, und Alternativen erscheinen realisierbar. Plötzlich werden neue Wege möglich, weil Menschen auf der Erde den Himmel, die Heimat des Möglichen, angerufen haben und erhört wurden. Was dann passiert, geschieht, weil Menschen gebetet haben.

Gebet und Weltbild

Nach dem spiritualistischen oder gnostischen Weltbild ist die sichtbare Welt allerdings als kosmischer Irrtum zu verstehen, dem es zu entfliehen gilt. Die Bedeutung, die manche Christen dem Leben nach dem Tod als Ersatz für echtes Leben hier und jetzt geben, ist ebenso typisch für dieses Weltbild wie die Verwerfung der Sexualität, des Vergnügens und generell des positiven Werts materieller Dinge.

Im materialistischen Weltbild hat das Gebet keinen Platz mehr. Ich bin überzeugt, dass die meisten Probleme mit dem Gebet daher rühren, dass wir den materialistischen Glauben verinnerlicht haben. Das theologische Weltbild versucht Gott zu retten, indem die physische Wirklichkeit der Wissenschaft überantwortet wird und die Religion die spirituelle Welt behält, ohne dass beide noch mit irgendwelchen Wechselwirkungen verbunden sind - allenfalls noch über eine Art Selbsthyptnose oder -beeinflussung und Selbstprüfung/-erkenntnis.

Im integrierten Weltbild rückt das Gebet allerdings wieder ins Zentrum. Das Spirituelle liegt im Kern aller Dinge und kann daher vom Gebet unendlich durchdrungen werden. Nach diesem Weltbild ist das ganze Universum ein einziges, geistig-materielles Ereignis: Das Selbst und das Universum sind koextensiv (gleich weit ausgedehnt). Wir sind nicht wie im Materialismus so etwas wie einzelne Billardkugeln; wir sind von Anbeginn an mit allen anderen Wesen im Universum verbunden. In einer solchen Welt kennen wir die Grenzen des Möglichen nicht. Deswegen beten wir um das, was wir für richtig halten, und überlassen Gott das Ergebnis. Wir leben in der Erwartung von Wundern, in einer durch das Staunen neu verzauberten Welt. Die Fürbitte ist eine völlig rationale Antwort auf eine solche Welt.

Die Macht der Fürbitter

Fürbitte ist der spirituelle Widerstand gegen das, was ist, im Namen dessen, was Gott verheißen hat. Fürbitte imaginiert eine alternative Zukunft, anders als die, welche vom Schicksal durch das Zusammenwirken gegenwärtiger Kräfte bestimmt zu sein scheint. Das Gebet lässt die Luft einer kommenden Zeit in die erstickende Atmosphäre der Gegenwart hereinwehen.

Die Geschichte gehört den Fürbittern, die durch ihren Glauben die Zukunft heraufführen. Das ist nicht nur eine religiöse Aussage. Sie gilt genauso für Kommunisten oder Kapitalisten oder Anarchisten. Die Zukunft gehört jedem, der die Vision einer neuen und erstrebenswerten Möglichkeit heraufbeschwören kann, einer Möglichkeit, die durch Glauben aufgegriffen und als unvermeidlich festgehalten wird.

Eine kleine Anzahl Menschen, die sich verbindlich engagieren für eine neue Unabwendbarkeit, auf die sie ihre Vorstellungskraft gerichtet haben, kann die Gestalt der Zukunft entscheidend beeinflussen.

Die Geschichte gehört den Fürbittern, die durch ihren Glauben die Zukunft heraufführen. Wenn das so ist, dann ist Fürbitte keine Flucht vor dem Handeln, sondern ein Mittel, sich auf das Handeln auszurichten und schöpferisch zu werden. Durch unsere Fürbitten werfen wir wahrhaft Feuer auf die Erde und posaunen die Zukunft ins Dasein.

Das Beten geschieht nicht nur zwischen uns und Gott. Es schließt auch die großen sozialen und spirituellen Kräfte mit ein, die weite Teile der Wirklichkeit bestimmen. Ich meine damit sowohl die gewaltigen Institutionen, gesellschaftlichen Strukturen und Systeme, die unsere heutige Welt beherrschen, wie auch die spirituelle Realität in deren Zentrum.

Wir beten nun seit Jahrzehnten, dass die Supermächte ihre Waffenlager reduzieren. Während eines großen Teils dieser Zeit sieht das wie ein müßiges Unterfangen aus. Der „Engel der Vereinigten Staaten“ und der „Engel der Sowjetunion“ waren in einem Todeskampf gefangen, in dem keiner bereit schien, seinen Zugriff zu lockern. Dann handelte - eine Ironie Gottes — der sich am lautesten antikommunistisch artikulierende Präsident in der amerikanischen Geschichte, Ronald Reagan, mit einem sowjetischen Führer, Michail Gorbatschow, einen Vertrag zur Reduktion von Atomwaffen aus; mit einem Führer, dessen neuer Kurs der Offenheit von keinem einzigen amerikanischen Sowjetspezialisten vorhergesehen worden war. Ohne Zweifel haben der wirtschaftliche Niedergang und der aufkeimende Nationalismus in der Sowjetunion eine wichtige Rolle gespielt. Warum haben dann aber die Experten die Veränderung nicht vorhergesehen?
Wäre der kalte Krieg ohne die Demonstrationen und die jahrzehntelangen Gebete der Friedensbewegung in den Vereinigten Staaten, Europa und der Sowjetunion zu Ende gegange? Wie auch immer es gewesen ist, Gott hatte eine Lücke gefunden und konnte die wunderbare Richtungsänderung herbeiführen.

Den Mächten und Gewalten gelingt es, ihren Willen gegen den Willen Gottes durchzusetzen und sich eine Zeit lang zu behaupten. Das Erstaunliche ist also nicht, dass unsere Gebete manchmal unerhört bleiben, sondern dass einige überhaupt erhört werden. Es ist uns schon lange klar, dass Gott durch unsere Freiheit eingeschränkt wird. Die neue Einsicht im Buch Daniel ist, dass Gott durch die Freiheit von Institutionen und Systemen ebenso begrenzt wird. Wir sprechen normalerweise von Gottes freier Wahl, sich selbst zu begrenzen. Man kann wohl fragen, ob Gott wirklich eine Wahl hat. In jedem Fall - ob durch die eigene freie Wahl oder nicht - ist Gottes Fähigkeit, ungebeten zu intervenieren, sehr begrenzt, wie wir alle wohl beim Gebet bemerkt haben werden.

Kurz gesagt, das Gebet verwickelt nicht nur Gott und Mensch, sondern Gott, Mensch und die herrschenden Mächte. Was Gott in der Welt zu tun vermag, wird durch die Rebellion, den Widerstand und das Eigeninteresse der Mächte, die ihre Freiheit unter Gott wahrnehmen, in einem beträchtlichen Maß behindert.

Wir können um Gerechtigkeit und Befreiung beten, und müssen es auch, und Gott hört uns am allerersten Tag. Aber Gottes Macht zur Intervention gegen die Freiheit dieser rebellischen Geschöpfe ist manchmal tragisch begrenzt, begrenzt auf eine Art, die zu verstehen wir uns nicht anmaßen können. Man braucht ein erhebliches Maß an spiritueller Reife, um in der Spannung zwischen diesen beiden Tatsachen zu leben: Gott hat unser Gebet erhört, und die herrschenden Mächte blockieren Gottes Antwort.

Wenn die herrschenden Mächte in der Lage sind, Gott so wirksam zu behindern, können wir dann überhaupt von einer göttlichen Vorsehung in der Welt sprechen? Wenn unsere Gebete so sporadisch oder mit so langer Verzögerung erhört werden, können wir Gott überhaupt voll vertrauen? Kann man sich auf Gott verlassen? Ist so ein begrenzter Gott überhaupt noch Gott? Wir müssen uns diesen Fragen stellen, weil unsere Fähigkeit, zu beten, davon abhängt, dass wir eine wirkungsvolle Vorstellung haben von Gottes Fürsorge.

Die ernüchternde Botschaft, dass die herrschenden Mächte Gottes Plan entgegenwirken können, wird mehr als aufgewogen durch das Wissen, dass unsere Gebete sich schließlich durchsetzen werden. Ob wir einundzwanzig Tage oder einundzwanzig Jahre oder einundzwanzig Jahrhunderte warten müssen, ändert für den Glauben nichts. Er weiß, wie gewaltig und starr die Mächte und Herrschaftssysteme sind. Wir dürfen nicht nachlassen, zu beten um das, was recht ist, nur weil unsere Gebete scheinbar unerhört bleiben. Wir wissen, dass die Gebete bereits am allerersten Tag erhört werden. Und wir beten weiter, denn auch nur einen einzigen Tag länger auf Gerechtigkeit zu warten, wäre zu lang.

Das ist der Grund, weshalb die Verzögerung der Königsherrschaft Gottes für den christlichen Glauben im ersten Jahrhundert nicht tödlich gewesen ist, als Jesus entgegen den Erwartungen nicht wiedergekommen war. Denn die Kirche konnte nun das Herrschaftssystem als das erkennen, was es war, und hat sich ihm nie wieder ganz unterworfen. Weil die Kirche Gottes herrschaftsfreie Ordnung einmal flüchtig erblickt hatte, konnte sie nie wieder aufhören, sich nach seinem Kommen zu sehnen.

Zunehmende Gewaltandrohung der herrschenden Mächte ist ein Eingeständnis, dass sie nicht länger über freiwillige Zustimmung verfügen. Immer dann, wenn eine genügend große Anzahl Menschen ihre Zustimmung entziehen, müssen Mächte zwangsläufig fallen.

In Erwartung von Wundern leben

Zu verstehen, wie die herrschenden Mächte unsere Gebete behindern, kann die Art, wie wir beten, revolutionieren. Wir werden energischer und aggressiver. Wir werden Gott ehren, indem wir die volle Bandbreite unserer Gefühle zulassen, von Frustration über Empörung bis zu Freude und alles, was dazwischen liegt.

Das Gebet im Angesicht der herrschenden Mächte ist ein "spiritueller Abnutzungskrieg". Wenn wir versäumen zu beten, sind Gott tatsächlich die Hände gebunden. Das unterstreicht die Dringlichkeit unseres Gebetes.

Wir dürfen nicht nur die äußeren, politischen Erscheinungsformen der herrschenden Mächte wahrnehmen, sondern müssen auch ihren inneren Geist erkennen. Wir müssen beides vor Gott bringen, damit es verwandelt wird. Sonst ändern wir nur die äußere Hülle und lassen den Geist unberührt.

Das Vertrauen auf Wunder ist tatsächlich die einzig rationale Haltung in einer Welt, die auf unendlich unterschiedliche Weise auf Gottes unablässige Verlockungen antworten kann. Wir sind bevollmächtigt, um Wunder zu beten, weil nichts anderes ausreicht.

Nachwort

Die Leidenschaft, die die frühen Christen zu missionarischem Eifer trieb, wurde nicht nur genährt von dem Wunsch, die Zahl der Kirchenmitglieder zu erhöhen oder die Menschen sicher in einen Himmel nach dem Tod zu führen, der alles irdische Elend ausgleicht. Ihre Leidenschaft wurde vor allem angefacht durch das Gefühl der Befreiung von allen Verblendungen, in die die herrschenden Mächte sie eingesponnen hatten. Darum waren sie entschlossen, auch andere zu befreien. Im Grunde ist das Evangelium keine Botschaft der Flucht in eine andere Welt, sondern es verkündet die Rettung aus den Verführungen „dieser Welt“ (des Herrschaftssystems) und die endgültige Verwandlung dieser Welt, „wenn alle Völker kommen und Gott anbeten“ (Offb 15,4). Das ewige Leben ist nicht gedacht für die Zukunft in einer anderen Wirklichkeit, sondern es beginnt jetzt, in dem Augenblick, in dem wir zu leben beginnen für Gott und für den, der uns Gott offenbart (vgl. Joh 17,3).


Bibelstellen


Medien


Aus einem Interview mit Neal Stephenson über Walter Wink

http://www.reason.com/0502/fe.mg.neal.shtml

"Wir können eine lockere Analogie zu der Art und Weise ziehen, wie Menschen das Problem der Machtstörungen angegangen sind. Wir verstehen sie nicht wirklich. Wir wissen, dass es ein paar Tricks gibt, die zu helfen scheinen, etwa Rechtsstaatlichkeit und Gewaltenteilung. Darüber hinaus neigen Menschen dazu, der einen oder anderen Lieblingstheorie zu verfallen. Und so gibt es vollkommen intelligente Menschen, die sagen: „Alle unsere Probleme wären gelöst, wenn nur die Arbeiter die Produktionsmittel kontrollieren würden“, oder was auch immer. Sobald sie sich für eine totalisierende politische Theorie entschieden haben, sehen sie alles durch diese Linse und stehen anderen Vorstellungen feindlich gegenüber."

"Winks Interpretation des Neuen Testaments ist, dass Jesus kein pazifistischer Trottel war, sondern (neben anderen Dingen) die Menschen ermutigte, sich dem dominanten Machtsystem der Zeit, nämlich dem Römischen Reich, zu widersetzen. Allerdings ist Wink auch kein Fan von Gewalt, und er verwendet viel Tinte auf den Angriff auf das, was er den Mythos der erlösenden Gewalt nennt, den er als eine Meme ansieht, durch das Herrschaftssysteme aufrechterhalten werden. Aber er ist eindeutig dafür, dass Menschen sich gegen repressive Machtsysteme aller Couleur wehren."

"Wink überträgt dies auf den heutigen Tag und interessiert sich allgemein für Menschen an verschiedenen Orten, denen es schlecht geht. Er entwickelt sozusagen eine empirische Wissenschaft der Shaftologie. (Natürlich nennt er es nicht Shaftologie; das ist nur mein Name dafür. Das Wort bezieht sich auf shafting="jemandem den Kürzeren ziehen"). Er reist um die ganze Welt und schaut sich verschiedene Arten von Menschen an, denen es offensichtlich auf die Nerven geht, seien es Schwarze im Apartheid-Südafrika oder im Süden Amerikanische Bauern oder Bewohner innerstädtischer Viertel, die von Banden dominiert werden. Er sucht nach Verbindungen zwischen all diesen Situationen und entwickelt so die Idee von Herrschaftssystemen. Es handelt sich nicht um Keimtheorie und moderne Antibiotika, sondern zumindest um eine Art Epidemiologie von Potenzstörungen. Und selbst Menschen, die den religiösen Inhalt seiner Arbeit nicht ertragen können, könnten einige Hinweise aus diesem epidemiologischen und nicht theoretisch-ideologischen Ansatz ziehen."